Jelzin im Wagenwerk
Wir sitzen in einem Büro am Stadtrand von Omsk. Schränke, Tische, Stühle - alles ist geputzt und gewienert. Wie die kleinen Schulkinder werden wir an den Rand des Zimmers gesetzt, jeder kann ihn sehen. Ihn, den Chef des Omsker Wagenwerkes. Er erzählt uns von den Erfolgen seines Kombinats. Mit zusammengekniffene Augen - sonst entdeckt man keinerlei Gestik und Mimik - brummelt er aus dem Stehgreif etwas von deutschen Waschmaschinen und wunderbar sauberen Bettlaken. Ein bisschen erinnert uns seine Art an Jelzin. Dick, behäbig und doch schrecklich mächtig sitzt er am großen Schreibtisch und lenkt die Welt.
Und sei es die große Welt des Omsker Reisewagen-Imperiums. Bis nach Deutschland kommen seine Wagen und irgendwie spürt man seinen heimlichen Stolz. Anderswo fahren Wagen von Dresden nach Meißen, hier fahren Wagen von Nowosibirsk nach Berlin.
Alles in Russland ist großer und irgendwie anders. Rostige Wagen werden nicht verschrottet sondern mit Spachtel wieder aufgearbeitet. Und weil das sehr aufwendig ist, baut man gerade eine spezielle Entrostungsmaschinerie - in Eigenregie, versteht sich.
Unser ganz persönlicher Jelzin hat seine Welt im Griff. Alles ist sauber, nichts wirkt verwahrlost. Nun gut, die Bahnschienen im Gelände sind schief und krumm verlegt, unser deutscher Wagenpark würde spätestens an der ersten Weiche entgleisen. Aber Russland ist gross und irgendwie anders - da stören krumme Schienen nicht den Lauf der Dinge.
Einen Tag später auch am Rangierbahnhof die gewohnte russische Gelassenheit. Die Technik ist alt - von dem einen neuen Computer im zweiten Stock mal abgesehen -, aber sie funktioniert. Die Wagen rollen über den Ablaufberg und werden ordentlich sortiert, das Rohrpostsystem zu den Wärterhäuschen tut auch noch verlässlich seinen Dienst. Ordnung muss natürlich sein, jeder gerollte Wagen wird penibel registriert, mit Papier und Bleistift, vermutlich in dreifacher Ausführung. War immer so, wird immer so bleiben.
Neu sind nur wir deutschen Studenten mit unseren Fotoapparaten. Extra wegen uns ist der Technische Leiter am Feiertag aufgekreuzt. Aber nun ist Schluss, schließlich will er noch auf die Jagd gehen.
Norbert Schott